Was bin ich?

Kürzlich schrieb jemand auf Twitter, der Tag, an dem alle weiblichen Piraten sich als „Piratinnen“ bezeichnen würden, wäre ein guter Tag. Das brachte mich ins Grübeln. Irgendwie scheue ich mich davor, mich „Piratin“ zu nennen. Warum das so ist? Bin ich mir nicht ganz sicher. In meinem Profil auf Twitter steht „Pirat“. Dort steht aber auch „Berlin“, und nicht „Berliner“ oder „Berlinerin“. Vielleicht liegt es wirklich daran, dass mir das generische Maskulinum neutraler erscheint, als das generische Femininum. Dass ich das öffentlich schreibe, erfordert gerade für mich persönlich schon eine gewisse Menge Mut. Mir ist schon klar, Sprache schafft Bewusstsein, ich habe den Vortrag von Anatol Stefanowitsch auf der OM12 auch gesehen. Und mein Bewusstsein ist da vielleicht nicht vollständig reflektiert oder sensibilisiert. Mag sein.

Ich persönlich habe mich immer mitgemeint gefühlt, wenn das generische Maskulinum benutzt wurde. Ich brauche das generische Femininum, das Binnen-I, die Sternchen oder was auch immer nicht, um mich angesprochen zu fühlen. Das ist aber nur mein eigenes Gefühl, und mir ist klar, dass ich das nicht auf den Rest der Welt projizieren kann und sollte.

In der #Inwoche, in der alle Mitmachenden sich bemühten, alle Tweets und ähnliches im generischen Femininum zu verfassen, gab es genug Leute, die es nicht so empfanden, dass mit der Benutzung des generischen Femininums auch Männer mitgemeint waren. Selbst Menschen, die die #InWoche selber mitmachten, hatten diesen Reflex. Wie empfindlich einige Männer reagierten, zeigt, dass die Nutzung der Sprache eben nicht wertneutral ist. Sprache schafft, wie gesagt, Bewusstsein.

Trotzdem, als ich dann schrieb, dass ich mich nicht „Piratin“ nennen will, war die Reaktion irritiert. Ob man mich dann als „den Pirat Fumuckel“ denken müsse? Das fand ich auch wieder verkehrt. Ich bin nicht „die Piratin Fumuckel“, ich bin nicht „der Pirat Fumuckel“. Ich bin eindeutig eine Frau. Ich habe einen weiblichen Vornamen, in meinem Personalausweiß steht, dass ich weiblich bin, wer mich sieht, nimmt mich optisch als Frau war, ich benutze die Damentoilette, mein Körper erinnert mich jeden Monat daran, dass ich zumindest theoretisch in der Lage bin, ein Kind auszutragen. Soweit, so weiblich. Und sonst so? Empfinde ich mich als Frau?

Naja, wenn man mich fragt, ob ich eine Frau oder ein Mann bin, habe ich darauf eine klare Antwort. Ich bin eine Frau, ich bin kein Mann. Aber ich bin eben nicht nur eine Frau. Die meiste Zeit am Tag bin ich Webanalyst oder meinetwegen Webanalystin. Abends bin ich oft Zocker. Oder Zockerin. Die meiste Zeit nehme ich mein Geschlecht einfach nicht bewusst wahr. Und ich mag mich eben nicht über etwas definieren, was in meiner Selbstsicht nur einen kleinen Teil meiner Persönlichkeit ausmacht. Wenn man mich fragt „Was bist Du?“ würde ich wahrscheinlich in den seltensten Momenten antworten „Eine Frau“. Wahrscheinlich nur in Situationen, in denen klar ist, dass das gerade das angefragte Selektionskriterium ist. Ansonsten bin ich eben Kassenpatient, Fahrgast, Parteimitglied, Blogger, Leser, Kunde, Betriebswirt und alles meinetwegen auch noch mal in der weiblichen Form.

Ganz schön naiv, hm? Ja, mag sein. Trotzdem mag ich mich eben nicht so stark auf nur eine Facette meines Ichs konzentrieren. Und das, obwohl ich in der PG Frauenwahlrecht aktiv bin, mich also für die Förderung von Frauen in der Piratenpartei einsetze. Aber das mache ich eben nicht aus Eigenantrieb, sondern weil ich sehe, dass es strukturelle Schwierigkeiten gibt. Für mich ganz alleine, ganz persönlich, brauche ich keine Frauen, die mich repräsentieren. Ich wüsste nicht, wieso das Geschlecht dazu führen sollte, dass ein Mensch mich besser repräsentieren kann oder eben nicht. Meine politischen Überzeugungen können ebenso von einem Mann wie von einer Frau wie von allem dazwischen oder daneben vertreten und repräsentiert werden. Mixed Teams arbeiten aber besser. Und um innerhalb der Piratenpartei mehr Mixed Teams zu etablieren, müssen wir wohl noch was an dem Frauenanteil arbeiten.

Ich bin nicht völlig unbelesen und unbewandert in dem Thema. Auch ich habe Judith Butler gelesen. Aber das kommt mir, für mich persönlich, alles so weit weg vor. Klar habe ich selber auch schon erlebt, als Frau anders behandelt zu werden, als Männer in der gleichen Situation. Auf der Arbeit war ich lange die einzige Frau im Team. Bei meinem Hobby, der Zockerei, bin ich klar in der Unterzahl. Ja, da wird man anders behandelt, und damit meine ich nicht besser. Der Verkäufer im Mediamarkt belehrt mich gerne noch mal ganz genau über die Hardware die ich kaufen will, obwohl ich ganz klar zu erkennen gebe, dass ich weiß was ich will und weiß wovon ich rede. Selbst der eigene Freund, der ganz genau weiß, dass ich meinen Rechner alleine aufrüsten, umbauen und reparieren kann, tut gerne mal so, als wäre ich nur das kleine Frauchen, das gerade mal weiß, wie man den Browser startet um auf Facebook zu chatten. Das ist mir alles begegnet. Das ärgert mich dann auch. Ich hätte auch gerne, dass sich das ändert. Aber ich will mich dafür nicht permanent als Frau definieren und verhalten müssen. Ich will mir das nicht ständig bewusst machen.

Ich bin mehr als mein Geschlecht. Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Um als mehr als mein Geschlecht wahrgenommen zu werden, muss es normaler werden, als Frau alle möglichen Rollen spielen zu können. Und vielleicht muss genau dafür das Bewusstsein geschaffen werden, dass es eben Anwältinnen, Professorinnen und Geschäftsführerinnen gibt. Vielleicht braucht man dazu wirklich das generische Femininum. Vielleicht bin ich da zu egozentrisch, und projiziere tatsächlich mein eigenes Bewusstsein auf andere Menschen. Vielleicht ist das mein Fehler. Aber ich lerne ja noch. Und bis dahin bin ich Anika, Fumuckel, Mitglied der Piratenpartei. 

BPT, LQFB und SMV

Noch während sich der allgemeine Parteitagskater in die weitverbreitete Parteitagsgrippe umwandelt brandet eine alte, nie ganz verstummte Debatte wieder auf – wie basisdemokratisch kann, soll, will die Piratenpartei eigentlich sein? Und wie setzt man das um?

Auf dem Parteitag in Bochum hatten sich rund 2000 Piraten aus ganz Deutschland versammelt. Die einzelnen Landesverbände waren dabei sehr unterschiedlich stark vertreten, was dazu führte, dass die Stimmverhältnisse nicht mehr repräsentativ zu den insgesamt stimmberechtigten Mitgliedern in den einzelnen Landesverbänden waren. Und so sieht das konkret aus: (Vielen Dank für die Datengrundlage von www.machmaldieaugenauf.de)

Die Überrepräsentanz von NRW, Berlin und Sachsen und die Unterrepräsentanz aller anderen Landesverbände konnten also potentiell Abstimmungsergebnisse erzeugen, die eben nicht mehr repräsentativ für alle stimmberechtigten Piraten im Bund sind. Ist das jetzt noch Basisdemokratie?

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Die Gründe für die unterschiedlich stark vertretenen Landesverbände ergeben sich unter anderem aus der Distanz zum Veranstaltungsort – Bochum liegt in NRW, natürlich waren allein deshalb sehr viele NRW’ler anwesend. Wer weiter weg wohnt, muss es sich gründlicher überlegen, ob die Fahrt zum BPT machbar ist.

„Bei uns kann jeder mitmachen“ – das stimmt eben einfach nicht. Auf dem BPT trifft sich dann eben doch die in den letzten Tagen viel gescholtene „Zeit- und Geldelite“. Wer es sich leisten kann, finanziell und zeitlich, kann mitmachen – wer es sich nicht leisten kann, kann das im Zweifel eben nicht. Das ist nicht Inklusion. Das ist Selektion. Da kann man auch noch so viel organisieren – private Übernachtungsmöglichkeiten, Sammelbusse, Essensgutscheine – wer aus zeitlichen Gründen nicht teilnehmen kann, dem ist damit nicht geholfen. Die Methode, wie wir unsere Beschlüsse fassen ist nicht basisdemokratisch – sie ist teilnehmerdemokratisch. Das ist soweit nicht schlimm, solange jedem die Möglichkeit offen steht, Teilnehmer zu sein. Und das ist faktisch einfach nicht der Fall.

Die Frage ist: was wollen wir? Wollen wir, dass jeder, ungeachtet seiner finanziellen, persönlichen und zeitlichen Situation gleichberechtigt teilhaben kann an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen? Ich halte das für Konsens, innerhalb der Piratenpartei. Diesen Konsens vorausgesetzt bleibt uns schlicht nichts anderes übrig, als unsere bisherige Methode zur Programmfindung zu optimieren. Wir haben ein Tool, mit dem wir zeit- und raumunabhängig miteinander Anträge ausarbeiten können, mit dem wir Meinungsbilder erstellen und Programmarbeit machen. Die technische Grundlage ist also prinzipiell vorhanden, um auch Abstimmungen wie auf dem BPT digital und für alle erreichbar zu machen. Und wenn es dem konkreten Tool in manchen Dingen noch an Perfektion fehlt – wenn wir nicht anfangen uns konkret damit zu befassen, wie wir es schaffen können alle die wollen einzubinden, dann wird sich dieser Zustand niemals einfinden. Was sind also die konkreten Kritikpunkte an dem Vorschlag, Liquid Feedback endlich als Ständige Mitgliederversammlung zu nutzen?

–          Sockenpuppen: Das System ist leicht zu hacken. Wer sich zum reduzierten Mitgliederbeitrag den Zugang zum Liquid Feedback klickt, kann für 12 Euro im Jahr mit seiner Stimme die Ergebnisse manipulieren.

  • Äh, ja. Was denn nun, Schwarmintelligenz, yay or nay? Generalverdacht gegen Neupiraten? Uboot-Paranoia? Ich weiß nicht. Ich finde es recht schwer vorstellbar, dass ganze Horden von Rechten oder CDU’lern das LQFB überfallen und uns dazu zwingen irgendwelchen Quark zu beschließen. Vielleicht sollten wir alle mal unseren Arsch ein klein wenig mehr hoch kriegen. Wir sind nämlich viele, eigentlich. Und wenn wir das mit der Basisdemokratie ernst nehmen sollten die meisten in dieser Partei (ich nehme mich da nicht aus) sich vielleicht tatsächlich mal an den Abstimmungen im LQFB beteiligen. Oder zumindest ihre Stimme an diejenigen delegieren, denen sie in den verschiedenen Themenbereichen vertrauen. Womit wir beim 2. Großen Kritikpunkt sind

–          Superdelegierte: Oh nein! Der X hat Unmengen von Delegationen! Und da, die Y auch! Herrje! Die Basisdemokratie ist in Gefahr, wenn Einzelne zu Superdelegierten werden und allein mit ihrer und den ihnen anvertrauten Stimmen eine Abstimmung entscheiden können!

  • War das mit den Delegationen nicht genau so gedacht? Ich komme noch mal auf die Schwarmintelligenz zurück, oder besser: für wie bescheuert haltet Ihr uns eigentlich? Ist das wirklich eine weit verbreitete Vorstellung, dass da Piraten vorm LQFB sitzen und denken „Ui, der X ist ja immer so nett und witzig auf Twitter und den finden alle so toll, der soll jetzt mal alles für mich entscheiden!“? Ich denke wir setzen auf die Intelligenz des Einzelnen? Aber wenn der Einzelne dann entscheidet, dass ein Dritter sich besser in einem Thema auskennt als man selber, dann ist er sofort obrigkeitshörig? Wir delegieren Entscheidungen, jeder von uns, jeden Tag. Wenn ich mein Fahrrad reparieren lasse quatsche ich dem Mechaniker nicht rein, was er zu tun hat. Ich delegiere das. Wenn ich zum Arzt gehe diskutiere ich das MRT-Ergebnis sicher nicht mit meinem Radiologen. Der weiß das nämlich besser als ich. Und das ist auch ok so. Und wenn ich nicht will, dass der was für mich entscheidet, dann wechsle ich den Arzt. Oder studiere Medizin. Und genau das mache ich im LQFB. Wenn derjenige, an den ich meine Stimme delegiert habe, damit etwas macht was ich nicht will, dann entziehe ich ihm die Stimme, und gut ist. Wenn er meine Stimme an jemand anderen weiterdelegiert, von dem ich meine Stimme nicht verwaltet haben will, ziehe ich meine Stimme zurück. Man gibt, im Gegensatz zur Bundestagswahl, seine Stimme nämlich nicht ab. Man verleiht sie. Und das ist auch gut so.
  • Um noch mal zum Macht-Aspekt zu kommen: das ist ja weit verbreitet in der Partei, Macht immer nur als etwas Schlechtes zu sehen. Macht ist aber mehr, als die Möglichkeit für und über andere zu entscheiden (und wie schon gesagt – im LQFB ist die „Macht“ der Superdelegierten sowieso flüchtig). Macht ist auch Verantwortung, mit dem Vertrauen, das einem entgegengebracht wurde, vernünftig umzugehen. Fragt doch mal die Superdelegierte, wie sie das finden, so viele Stimmen auf sich zu vereinen. Glaubt ihr wirklich die sitzen sabbernd und selbstberauscht vorm LQFB und klicken sich die Welt, widde-widde-wie sie ihnen gefällt? Glaubt Ihr ernsthaft, wenn sie so drauf wären, hätten sie in dieser Partei so viele Stimmen auf sich delegiert? Halte ich ja für unwahrscheinlich.

–          Zu geringe Beteiligungsquote im LQFB.

  • Ja, die ist ein Problem. Aber hey, LQFB ist ja nur ein Meinungsbild, entscheidend is auffm Platz, sprich auf dem BPT. Wenn das anders wäre, wäre sicher auch die Beteiligung im LQFB höher. Und wenn nicht – wir müssen uns wie gesagt vom Gedanken der Basisdemokratie insofern verabschieden, als dass eine Entscheidung nur gut ist, wenn alle darüber befunden haben. Sie ist dann gut, wenn alle, die WOLLEN darüber befunden haben. Ich habe in den letzten Wochen das schöne Wort Teilnehmerdemokratie gelernt. Darum geht es nämlich. Wer will, der muss können. Das ist im Moment nicht der Fall und wird ohne digitale Alternative zum Rudelranten und Matetrinken in mittelgroßen deutschen Mehrzweckhallen auch nicht erreicht werden können.

Was bleibt also zu tun? Wir müssen, meiner Meinung nach, an genau den drei Kritikpunkten was tun. Und hier sind meine Vorschläge:

–          Sockenpuppen: Sorry Leute, aber ohne Gesinnungsprüfung werden wir diese latente Gefahr nicht abwenden können. Ich halte sie wie gesagt für vollkommenen Quatsch. Es hat ja vor ein paar Jahren nicht mal geklappt die FDP zu entern.

–          Superdelegierte: Vielleicht ist es möglich, im LQFB einige Features nachzureichen, die hier die Sorge wegen der oh so mächtigen Superdelegierten ein wenig zu mindern. Was mir dazu einfällt wäre beispielsweise ein regelmäßiger Delegationsreset, die Möglichkeit, eine Kettendelegation bestätigen zu müssen, ein regelmäßiges Feedback darüber wie die eigene Stimme verwendet wurde. Mal im Ernst, wir sind doch wirklich kreativ und findig bei solchen Themen. Das kriegen wir doch optimiert.

–          Beteiligung: Ja, wir schreiben niemandem ein Manifest. Ja, hol Dich gefälligst selber ab. Aber hey..vielleicht können wir ja doch noch ein klein wenig unterstützender sein. Und kommunikativer. Es könnte nicht schaden. Aber klar ist auch: ein bissl mehr Arsch hochkriegen würde den meisten wohl auch nicht schaden.

So, das war mein Beitrag dazu. Ich freue mich über konstruktive Kritik oberhalb von „Hey, Du bist erst seit August dabei, Du hast keine Ahnung“ und „Oh Gott, war ja klar dass das aus Berlin kommt“. Und ich würde mich wirklich freuen wenn wir das Projekt SMV endlich konkretisieren. Wir brauchen das, ganz dringend. Eine SMV hat nämlich weder GO- noch Tagesordnungs-Foo.

Innenausschuss

Natürlich bin ich viel zu früh da, wie immer, wenn ich nicht genau weiß wie so die Spielregeln einer Veranstaltung sind: wird es voll? Beginnt man pünktlich? Ab wann ist die Tür zum Saal geöffnet?

Erst mal friere ich also vor dem Abgeordnetenhaus in Berlin vor mich hin. Eine Zigarette, dann noch eine, dann wird es mir aber wirklich zu kalt und ich betrete das Gebäude, dann warte ich notfalls halt im Flur. Taschenkontrolle, dann geht’s in die dritte Etage. Ein wenig verloren komme ich mir mal wieder vor. Wo ist nun dieser Raum 311? Rechts und links der Treppe führen jeweils Gänge zu hohen Holztüren. Auf dem Schild neben der Tür, vor der ich nun stehe, steht: 311. Die Tür ist zu. Ich spähe über die Treppe hinweg. Von der anderen Seite späht ebenfalls jemand. Eine Frau sitzt vor der anderen Tür an einem Tisch. Die andere Tür ist offen. Ob das auch Raum 311 ist? Ich gehe zögernd hinüber, frage nach, muss meinen Personalausweis zeigen, dann geht’s rein in Raum 311.

Der Raum ist größer als gedacht, rechts von mir stehen die Tische der Parlamentarier, U-förmig angeordnet. Vor Kopf werden wohl Henke,l Koppers und Co. platznehmen. Links stehen die Schildchen der Grünen und der CDU, rechts die der Piraten, der Linken und der SPD. Die ersten 2 Reihen im Zuschauerraum haben Tische, hier sitzt die Presse.

Dahinter mehrere Stuhlreihen. Ich setze mich in die erste Reihe, mittig. Na dann mal los.

Kurz nach mir kommen die ersten Pressevertreter. Und noch bevor auch nur ein Politiker den Raum betreten hat, beginne ich mitzuschreiben. Man scherzt, nun würde wieder „unser liebstes Theaterstück“ aufgeführt, man redet von „diesem Stuss“. Einer der Journalisten sagt „Ich bin ja nicht Schomacker“, korrigiert sich aber, „ich meine natürlich Schupelius“. Es wird ein wenig über dessen Kolumne „Mein gerechter Zorn“ hergezogen. Man amüsiert sich darüber, dass der Tagesspiegel nun anfinge, Henkel dafür verantwortlich zu machen, dass irgendwer 2010 irgendwas weggeschmissen habe.

Der Raum füllt sich langsam, viele Journalisten sind anwesend, wobei, was heißt schon viele, ich bin das erste mal im Innenausschuss, vielleicht ist das auch das normale Level. Mir kommt es jedenfalls viel vor. Dann erscheinen die ersten Politiker. Christopher Lauer von den Piraten baut seinen Laptop auf, Robbin Juhnke, der innenpolitische Sprecher der CDU, der die Opposition gerne mal bezichtigt mit Benzinkanistern durch die Stadt zu laufen, schlendert an den Zuschauern vorbei und raunt ihnen ein „Morgen“ zu. Benedikt Lux von den Grünen nimmt links platz, Udo Wolf von der Linken auf der rechten Seite des U. Dann erscheinen Innensenator Frank Henkel und Vize-Polizeipräsidentin Margarete Koppers, die Kameras werden nach vorne geschleppt, man knipst, man filmt. Die beiden sitzen da vor Kopf und reden. Worüber wohl? Mit den Kameras im Gesicht werden sie wohl kaum über NSU, Refugee-Camp oder irgendetwas anderes inhaltliches reden. Und so richtig vorstellen kann ich mir auch nicht, dass die Privatkram auszutauschen haben. Wahrscheinlich lernt man das irgendwann, inhaltslos rumzumurmeln. Es würde mich nicht wundern.

Peter Trapp, der Ausschussvorsitzende, eröffnet die Sitzung. Zunächst wird die Tagesordnung besprochen, ein TOP wird nicht öffentlich sein. Dann erteilt er Innensenator Henkel das Wort.

Henkel spricht leise und schnell. Er berichtet vom Einsatz des Sonderermittlers, der die Vorgänge rund im die V-Person Thomas S., der dem NSU-Trio Sprengstoff geliefert habe, aufdecken soll. Es handle sich um eine „fächerformige Ermittlung“, führt er aus, er verlange einen „Schuss Fairness“, die Untersuchung sei sehr anspruchsvoll und es habe sich noch kein stimmiges Bild ergeben. Er beschwert sich darüber, es würde ihm permanent unterstellt er habe überall den Deckel drauf, dennoch müssen die bisherigen Erkenntnisse nicht-öffentlich debattiert werden, er könne da aber gar nichts für, das entspräche einfach der Geschäftsordnung des AGH. Das kennt man von Henkel allerdings schon, diesen Rückzug hinter die Geschäftsordnung.

Anschließend rattert Frau Koppers, die Vize-Polizeipräsidentin, der zum Aufstieg zur Polizeipräsidentin das richtige Parteibuch zu fehlen scheint, durch ihren Sprechzettel. Das ganze geht so schnell dass kaum mitzubekommen ist, wovon sie redet. Es geht wohl darum, was die Polizei nun konkret unternimmt, um die Sachverhalte rund um den NSU-Skandal in Berlin aufzuklären. Sie berichtet von einer 8-köpfigen Aufklärungstruppe, mit Mitarbeitern mit den unterschiedlichsten Qualifizierungen. Diese soll die Fragen klären, welche Informationen von der V-Person Thomas S. In die Akten eingegangen sind, welche nicht, welche Maßnahmen daraus abgeleitet wurden. Sie spricht von einem ganzheitlichen Ansatz, BKA, LKA, LVS, davon, die Strukturen und beteiligten Personen zwischen 2000 und 2011 verifizieren zu müssen, die Verantwortlichen sichtbar machen zu wollen damit man Lehren für die Zukunft ziehen könne. Sie redet in einem Tempo, bei dem man als Zuhörer kaum hinterher kommt. Insgesamt macht der Vortrag den Eindruck, als könnte man alles, was sie da erzählt, prima verstehen und einordnen, wenn sie, anstatt alles vorzulesen, einfach die Zettel, von denen sie abliest, kopiert und verteilt hätte. Aber Erkenntnisgewinn scheint ohnehin nicht unbedingt oberste Priorität zu haben. So muss sich der geneigte Zuhörer bemühen, die Struktur dessen, was sie vorträgt, zu erfassen. Es ist anstrengend. Es funktioniert nicht gut, zumindest für mich nicht. Ich bin zugegebenermaßen aber auch nicht geübt darin, mir solche Vorträge anzuhören. Was ich mitbekomme ist, dass Tabellen erstellt werden. Die Personalverantwortung zwischen 1992 und 2011 visualisiert wird. Irgendwann wird mir klar, warum ich das alles so schwer verständlich finde: weil ich tatsächlich gedacht hatte, eine V-Person würde zumindest in dem Sinne ordentlich geführt, dass die Frage, wie die Anwerbungsphase abgelaufen ist, wie die kriminelle Vorgeschichte der Person ist, welche Informationen der V-Person wo eingesetzt wurden, keine Fragen sind, die man aufwändig recherchieren müsste. Ich war naiverweise davon ausgegangen, dass über so was vollständige Akten existieren, dass Akten von aktiven V-Personen nicht vernichtet würden. Was man eben so denkt, wenn man sich die Polizei und die Verfassungsbehörden als organisierten Verein vorstellt. Aber dann war da ja die Sache mit den geschredderten Akten. Und den verschleppten Informationen.

Nachdem Frau Koppers endlich fertig gelesen hat meldet sich nun Udo Wolf, Linke, zu Wort.

Wolf führt aus, dass seiner Ansicht nach für einen Teil der Fragen die vorhandenen Akten zur Beantwortung völlig ausreichend wären und man in diesen Fragen nicht noch 2 weiter Monate recherchieren müsse, dass man endlich zu den politischen Fragen über die Strukturen kommen müsse. Er erklärt, dass nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses Akten dann vertraulich behandelt werden müssen, wenn die herausgebende Stelle dies anordne. Die herausgebende Stelle sei aber der Innensenat, Henkel habe also jede Möglichkeit den Geheimschutz für die entsprechenden Akten aufzuheben. Die Fragen würden teilweise öffentlich diskutiert, es bestehe schon lange faktisch kein Geheimschutz mehr für Thomas S., dieser gebe Interviews, wäre mit vollem Klarnamen bekannt. Es fällt der schöne Satz „Ich brauche keine V-Leute, ich brauche nur Google“. In der Szene sei Thomas S. ohnehin verdächtigt worden, Spitzel zu sein. Thomas Starke sei „sowas von enttarnt“, wenn man ihn schützen wolle bräuchte man keine Akten, die unter Geheimschutz fallen, sondern Polizeistreifen rund um sein Haus, man müsse ihm gegebenenfalls beim Umzug helfen. Der Verschluss der Akten bringe gar nichts mehr. Es sei lediglich ein Instrument um den Behörden zu ermöglichen, sich nicht in die Karten gucken zu lassen. Wolf erklärt, die Debatte fände ohnehin statt, öffentlich, nur die Parlamentarier dürften sich dazu nicht äußern. Das führe auch bei ihm zu einer gewissen Politikverdrossenheit. Verstehen kann man das ja. Er müsse permanent um den Straftatbestand des Geheimnisverrats herumformulieren, das sei der Sache nicht angemessen.

Benedikt Lux von den Grünen fragt Henkel, wem er sich eigentlich verpflichtet fühle, der Öffentlichkeit, dem Parlament oder doch eher denen gegenüber, denen Geheimschutz zugesichert wurde? Lux schießt einige weitere Fragen ab, ob man eine V-Person wirklich 12 Jahre lang führen müsse, fragt gezielt nach einzelnen Informationen, Henkel und Koppers sitzen da und zucken mit den Schultern und machen verwirrte Blicke. Dann quatschen die beiden, Henkel seufzt. Dann schaut er im Raum herum. Lux feuert weiter, ob ihm nicht klar sei, dass es bei ihm, Henkel, liege, das Vertrauen in die Behörden wieder herzustellen, ob er sich noch gar nichts überlegt hätte, keinen 5-Punkte-Plan, nichts? Er fragt nach dem Fragenkatalog der Grünen, ob Henkel denn zumindest die Akten selber gelesen habe? Ob er wisse, welche Antworten den Grünen auf ihre Fragen gegeben wurden? Es herrscht kurz Schweigen im Raum, Henkel guckt irritiert, Trapp, der Ausschussvorsitzende und Parteikollege von Henkel fährt dazwischen, das sei hier kein Kreuzverhör. Erstmal wäre gleich der Kollege Lauer dran, danach könne der Herr Senator antworten. Es wirkt grotesk. Nicht nur, als müsse Henkel vor bösen Fragen beschützt werden, sondern vielmehr als müsse er vor den eigenen, spontanen Antworten beschützt werden. Lux gibt flapsig zurück, er habe ja nur eine Sprechpause gemacht. Er wolle nur sicher gehen dass auch alle den gleichen Kenntnisstand haben.

Christopher Lauer, Piraten, erklärt zunächst mal, er sei irritiert, dass nun doch alles im Geheimen stattfinden solle, entgegen den Beschlüssen, umfassend aufzuklären. Es wäre doch ohnehin klar dass im Anschluss an die Sitzung sämtliche Handys der Abgeordneten klingeln würden und es am Ende sowieso in der Presse landen würden, woraufhin man dann mal wieder Anzeige gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats stellen könne.

Lauer fordert Henkel auf, endlich mutiger zu sein, man würde kein Vertrauen wieder herstellen, wenn man sich hinter der Geschäftsordnung verschanzen würde, wenn die Informationen doch ohnehin in der Presse landen würden. „Kafkaesk“ nennt er die ganze Situation, zu der sich Henkel bewusst entscheide.

Während Frau Herrmann von den Grünen, die eigentlich im Verfassungsschutz-Ausschuss sitzt und im Innenausschuss Rederecht hat, verschiedene detaillierte Fragen an Frau Koppers stellt und ihr attestiert, dass sie entweder nichts wisse oder die falschen Fragen stelle, quatscht Senator Henkel ausgiebig mit den hinter ihm sitzenden Gästen.

Dann ist Robbin Juhnke dran. Er erklärt, man habe nun bereits zwei Stunden Antworten erhalten, worauf der Ausschuss und das anwesende Publikum in Gelächter ausbricht. Diese Farce als Antworten zu bezeichnen ist schon wirklich dreist. Aber so kennt man ihn, den Herrn Juhnke. Zum Thema Geheimschutz erklärt er, dass man, nur weil die V-Person bekannt sei, keinen Freibrief hätte alles öffentlich zu machen. Dann wirft er Benedikt Lux vor, dieser habe nie Vertrauen in Senator Henkel gehabt und solle daher nicht davon sprechen, Vertrauen wieder herzustellen. Das kann man sich wirklich nicht ausdenken. Das ist so grotesk, dass ich erst unsicher bin, ob ich ihn richtig verstanden habe. Habe ich aber offenbar, der Rest der Opposition schaut ähnlich verblüfft bis entgeistert. Er fährt fort, keine Antwort würde Lux jemals befriedigen. Lux sei derjenige, der das Vertrauen in die Polizei und die Politik erschüttere. Aha. Scheint ein sehr eigenes Weltbild zu haben, der Mann.

Herrn Wolf fällt dann bereits die Formulierung „bei allem Respekt“ schwer. Er erklärt dass es schon im eigenen Interesse der Behörden sein müsse, mit offenen Karten zu spielen. Selbst die SPD, die sich ziemlich ruhig verhält in diesem Innenausschuss, gestehe zu dass die Strukturen verändert werden müssten. Man habe aber immer mehr den Eindruck, die Fragen sollten gar nicht beantwortet werden. Entweder es hieße, man könne die Fragen nicht beantworten, oder man würde auf Geheimhaltung verweisen und anschließend vertraulich erklären, man könne die Fragen nicht beantworten. Herr Juhnke grätscht dazwischen, das stimme ja gar nicht, dass keine Frage beantwortet worden wäre. Wolf wird nun wirklich wütend. 17 Fragen seien beantwortet worden, und zwar damit, dass man keine Erkenntnisse habe. Dabei könne man einige Fragen alleine durch das Lesen der V-Personen-Akte beantworten. Er fordert Henkel nochmals auf, den Geheimschutz aufzuheben. Das Ganze wirkt langsam wie ein Formalientanz mit Themenaussparung. Der Versuch, über etwas zu reden, ohne darüber zu reden. Ein Meta-Ausschuss.

Der Vorsitzende Trapp bittet darum, jetzt aber doch mal langsam fertig zu werden mit der Diskussion, er müsse schließlich pünktlich zum Wirtschaftsausschuss. Lux weist darauf hin, dass dann ja problemlos der stellvertretende Vorsitzende weiter machen könne. Es scheint, keine Finte sei zu primitiv, um sie nicht durchzuziehen. Es regt sich langsam ein gehöriges Maß Fremdscham. Neben der Irritation, dass alles noch skurriler ist als ohnehin erwartet.

Dann ist der Innensenator wieder dran. Er fragt Wolf, worüber er eigentlich reden wolle, wenn doch alles aus der Akte so klar hervorginge. Man möchte sich langsam aber deutlich an die Stirn fassen. Er mache es sich eben nicht so einfach. Es sei ärgerlich, immer die gleichen Fragen gestellt zu kriegen, immer die gleichen Worthülsen zu hören. Henkel spricht sehr bewusst, mal leise, ruhig, dann wird er wieder laut. Immer, wenn er einen der anderen Abgeordneten zitiert, imitiert, verfällt er in Berlinerisch. Es wirkt irgendwie diffamierend. Dann wird er richtig laut, er regt sich über Benedikt Lux auf, macht diesen nach mit dem Zitat „Sagen Sie doch mal auf wessen Seite sie stehen“. Wolf fährt er an, er habe alle Antworten bekommen. Dann wird er wieder ganz leise, ruhig, verteilt scheinbares Lob, erklärt, vor einem Jahr hätte man gedacht der NSU-Skandal ginge an Berlin vorüber. Er prangert an, dass sich mittlerweile eine Beweisumkehr eingeschlichen habe, die Opposition behaupte einfach irgendwelche wilden Spekulationen die der Senat dann entkräften müsse. Er verstehe natürlich, dass man als Opposition den Finger in die Wunde legen müsse, dass er das in der Opposition auch so machen würde, dass sich dieses Themengebiet dazu aber nicht eigne. „Na klar“ wirft Frau Herrmann ein, „aber brennende Autos“. Das scheint Henkels Taktik zu sein, wenn er überhaupt eine hat. Dieses scheinbar verständnisvolle, fast joviale Angekumpel, um dann rasendschnell in Angriff überzugehen. An Lauer gewandt behauptet er, niemand verschanze sich, schließlich würden die Vorgänge auch gar nicht in seine Amtszeit fallen, er habe also gar keinen Grund. Interessante Argumentation, denke ich. Würde er sich also im Umkehrschluss verschanzen, wenn die Vorgänge in seine Amtszeit fallen würden? Wolf attestiert er er mache es sich zu einfach, auch wenn er ihm zum Teil recht gebe. Trotzdem, nur weil die V-Person Thomas S. mit Klarnamen bekannt sei, sei er nach wie vor schutzwürdig. Henkel mag einfach nicht differenzieren, zwischen schutzwürdig und geheimschutzbedürftig. Henkel greift sich ans Herz, an dem ihm die V-Person offenbar liegt. Es ändere sich nichts, auch wenn Thomas S. Interviews gäbe.

Koppers bescheinigt anschließend Frau Herrmann, sie habe nicht zugehört, wenn sie behaupte, Koppers würde die falschen Fragen stellen, woraufhin ein kleines „Hat sie gar nicht“ – „Hat sie wohl“ folgt. Geht nur mir das so oder erwartet man von den Volksvertretern und der Exekutive nicht ein wenig mehr als diesen Kindergarten?

Wolf weißt dann nochmal auf den Unterschied zwischen Schutzwürdigkeit und Geheimschutz hin, aber das scheint hier alles einfach nicht gehört werden zu wollen. Er empfiehlt ein Aussteigerprogramm, oder auch Hilfe beim Umzug der V-Person. Durch Geheimschutz sei Thomas S. ohnehin nicht mehr geschützt. Nochmal macht er deutlich, dass nicht die Geschäftsordnung sondern die Klassifizierung durch Henkel maßgeblich dafür sei, dass man nicht öffentlich aufarbeiten könne. Diese Klassifizierung sei aber in keiner Weise mehr verständlich, zumal es ja nicht mal um Henkel selber ginge, wenn man über Vorgänge aus 2002 rede. Auch Lauer wirft Henkel dann noch mal vor er verschanze sich hinter der Geschäftsordnung, noch dazu sei Henkel ja nicht im luftleeren Raum, er habe schließlich genug Einfluss auf die Fraktion, er könne ja sogar anregen die Geschäftsordnung zu ändern, er könne aber doch nicht allen Ernstes der Opposition vorwerfen, dass diese die Geschäftsordnung nicht ändere. Lauer bringt die Bigotterie Henkels damit auf den Punkt, dass er nochmal zusammenfasst dass Henkel der Opposition einerseits Dramatisierung vorwerfe, andererseits aber sage, als Opposition würde er das im Grunde genauso machen. „Was werfen Sie und vor, dass wir uns so verhalten, wie Sie es in unserer Situation auch machen würden?“ fragt er den Innensenator. Das Niveau der Debatte geht Lauer merklich gegen den Strich. Das letzte mal habe er Dialoge im Stil von „Wohl“ – „Gar nicht“ wohl auf dem Grundschulhof geführt, aber relevante Inhalte ständen wohl einfach nicht auf den Sprechzetteln von Henkel und Koppers. Henkel tue so als wolle er ja so gerne aufklären, aber die bösen Regeln würden ihn hindern, obwohl Wolf ganz klar erklärt hatte, dass das nicht stimmt. Dann imitiert er sehr zur Erheiterung des Publikums mit großer Geste die gespielte Empörung Henkels über Benedikt Lux, um mich herum bricht man in Gekicher aus, es ist aber auch zu grandios, wie Lauer die Arme ausbreitet und völlig exaltiert den großen Empörer gibt. Er verweist nochmal darauf, dass Henkel jede Möglichkeit habe, diese aber wohl nicht nutzen wolle weil er, wie er ja selber sagt, das ganze als eine Show ansieht in der er sich als Opposition auch nicht anders verhalten würde.

Nun meldet sich auch mal die SPD zu Wort. Ja, die V-Person sei bekannt. Trotzdem könne die Akte ja schützenswerte Inhalte offenlegen. Man könne ja erst mal über die Inhalte geschlossen beraten und dann weiterschauen. Die SPD wirkt in diesem Spiel wie die peinlich berührte Zuschauerin am Rande, zu einer gewissen Solidarität gezwungen, aber eigentlich scheint sie sich vor dem Theater auch ein wenig zu ekeln. Komisch, gerade der Berliner SPD hatte ich das nicht zugetraut.

Henkel gibt noch mal den bedächtigen, ruhigen, versöhnlichen Onkel. Das täuscht aber nicht über die Inhalte, die er da absondert, hinweg. Wer denn den Kollegen Piraten die Fragen in die Laptops tippe, fragt er. Ist er sich wenigstens dieser Absurdität bewusst? Vermutlich nicht. Ja, das alles sei eine Show. Aber das Thema eben nicht geeignet. Und die Opposition habe es ja auch wirklich leicht. Lux wirft ein, wenn er, Henkel, es Oh-so-schwer habe, solle er es eben sein lassen. Nochmal hören wir die Platte von „Egal was die Medien machen ich halte mich an Vertraulichkeitszusagen“. Er hält das vermutlich für Solidarität. Dann hat er ein neues Argument entdeckt: Die Aufklärung stehe und falle ja gar nicht damit ob sie geheim ablaufe oder nicht. Außerdem seien die Vorwürfe, er verschanze sich hinter der Geschäftsordnung, als würde jemand sagen man verschanze sich hinter dem Gesetz. Das kann er nicht ernsthaft gesagt haben, denke ich, schließlich legt die Geschäftsordnung nur fest dass sich die Geheimhaltung nach seinem Urteil über Freigabe oder nicht zu richten habe. Koppers bestätigt dann nochmal, der Staat könne ja schließlich nicht Vertraulichkeit zusichern und das dann entziehen, nur weil es der Opposition nicht passe. Und noch mal folgen die Argumentationen von Koppers, Henkel und Wolf. Man kann sie langsam mitsprechen. Ein Theaterstück mit verteilten Rollen. Dann wird die Sitzung unterbrochen.

Als das Publikum nach knapp einer Stunde wieder in den Saal darf verliest Koppers gerade mit monotoner Stimme etwas, das wie eine Wegbeschreibung klingt. Es werden noch kurz die Themen SEK Kameradschaft, ein privater Verein der sich nun einen neuen Namen geben soll, und das Thema Gewalt und Fußball, wo eine gemeinsame Sitzung mit dem Sportausschuss geplant ist, angesprochen, dann war’s das. Tagesordnungspunkt 2, das Refugee-Camp am Brandenburger Tor, wird vertagt.

Das war er also, der Innenausschuss. Man hatte mir nicht zu viel versprochen. Die Inhalte hätte man wohl auf eine Din A 4-Seite packen können. Aber wie Innensenator Henkel mehrfach gesagt hat, das ganze ist wohl in erster Linie eins: eine Show.

 

Eine Woche AGH

Da ich nächste Woche meinen Resturlaub zu verbraten habe und mir sowohl Geld als auch Lust zum Wegfahren fehlt werde ich mir mal verschiedene Ausschüsse, die Plenarsitzung und die Piraten-Fraktionssitzung im AGH live anschauen. Hier mein Wochenplan:

Montag: Innenausschuss und ITDAT

Dienstag: Fraktionssitzung

Mittwoch: Ausschuss EuroBundMedien und wenn’s zeitlich hinhaut Ausschuss Stadtentwicklung, nachmittags Hauptausschuss

Donnerstag: Plenarsitzung

Wenn Ihr mir weitere Termine im AGH empfehlen könnt, die ich übersehen habe (z.B. Dienstag Vormittag – ist da wirklich kein Ausschuss?) bin ich für Hinweise dankbar.

Zum Teil werde ich wohl auch darüber bloggen, weshalb ich für Quellen mit ein paar Hintergrundinfos ebenfalls sehr dankbar wäre. Besonders geht’s mir dabei um den Innenausschuss und das NSU-Thema. Wenn Ihr also Links habt: gerne her damit. Natürlich bin ich da jetzt nicht gänzlich uninformiert, aber im Sinne der höchstmöglichen Vollständigkeit würde ich das ganze natürlich gerne mit mehr als den konkreten Geschehnissen im Ausschuss unterfüttern.

Wahrscheinlich werde ich im Rahmen dieses Blogs über die Woche schreiben und anschließend noch mal eine Zusammenfassung oder so auf freitag.de online stellen.

Auf jeden Fall freue ich mich über Feedback 🙂

Frauen auf die Posten! Nur, wie?

Spätestens seitdem die ersten Aufstellungsversammlungen für die Listen zur Bundestagswahl gelaufen sind ist klar: in der Piratenpartei sind Frauen in Ämtern, auf Posten und Listen eher ein seltenes Phänomen. Von Nichts kommt Nichts, dachten wir uns in Berlin, und gründeten vor 2 Wochen die Projektgruppe Frauenwahlrecht. Frauenwahlrecht? Ja. Das passive. Das mit dem Gewählt-Werden.

Tatsache ist, mit den momentan bereits gewählten Listen wäre vermutlich nur eine Frau in der Bundestagsfraktion, vorausgesetzt wir springen über die 5%-Hürde und erreichen nicht (vermutlich unrealistische) deutlich höhere Prozentwerte. Eine Aufstellungsversammlung nach der anderen wurde mit Entsetzen via Twitter kommentiert – die Fragen, die die weiblichen Kandidaten sich stellen lassen mussten, die Kommentare, die Wahlergebnisse – alles schrie danach, dringend aktiv zu werden.

Wie aber wird man eigentlich aktiv? Eine Quote stößt bei weiten Teilen auf nicht besonders viel Gegenliebe. Gewollt-gezwungene Aufteilung in Männlich und Weiblich, die Sorge, dass nicht mehr Kompetenz höchste Priorität hat, dass das Geschlecht, was viele doch immer noch gerne als unerheblich ansehen wollen, zu starken Einfluss darauf hat, ob Mensch auf einen Posten gewählt wird, das alles sorgt für eine (aus meiner Sicht) gesunde Skepsis vor einer starren Quote. Quote ist Holzhammer. Sie sorgt zwar dafür, den Frauenanteil in den Ämtern zu erhöhen, sie tut aber nichts gegen die Ursachen der Unterrepräsentierung von Frauen. Mag sein, Menschen brauchen Role-Models, Frauen in Ämtern können solche sein, um mehr Frauen zu einer Kandidatur zu bewegen – vermutlich schreckt sie aber im gleichen Maße auch die Frauen ab, die eben wegen einer Quote nicht kandidieren wollen. Eine feste Quote, egal welcher Art und auf welche Gruppen bezogen, geht davon aus, dass gewünschte Merkmale in beiden (oder allen) Untergruppen, die durch die Quotierung erzeugt werden, gleich, oder zumindest annehmbar gleich verteilt sind, was in dem Moment, wo die verfügbare Grundgesamtheit der Untergruppen sehr unterschiedlich groß ist problematisch wird. Angenommen wir haben in der Partei 20% Frauenanteil. Auf eine Liste mit 10 Plätzen bewerben sich 100 Kandidaten, 80 Männlich, 20 Weiblich. Mit einer Quote gehen dann 50% an Männer, 50% an Frauen, also jeweils 5 Plätze. Wird ansonsten nach Qualifikation gewählt, gehen dann die qualifiziertesten 6,25% der Männer und die qualifiziertesten 25% der Frauen auf die Liste. Wenn wir davon ausgehen, dass die Qualifikation zwischen Frauen und Männern gleich verteilt sind (was jawohl hoffentlich Konsens ist), bringt eine 50%-Quote auf jeden Fall nicht eine Liste der geschlechterübergreifend qualifiziertesten 10 Kandidaten hervor. Ob das ein angemessener Preis für ausgeglichene Listen ist, darüber kann man ja unterschiedlicher Meinung sein, man sollte es nur im Hinterkopf behalten, wenn man nach der Quote schreit. Solange nicht gleich viele Frauen wie Männer kandidieren, somit als Grundgesamtheit vorhanden sind, ist die Quote zumindest aus statistischer Sicht, mit dem Wunsch die qualifiziertesten Personen auf die Liste zu wählen, nicht das ideale Mittel der Wahl.

Es gibt viele weitere Argumente gegen die Quote: die Post-Gender-Verfechter fühlen sich ihrer Möglichkeit beraubt, ganz unabhängig vom Geschlecht der Kandidaten zu wählen, die Freiheit der Wahl wird eingeschränkt, die Quote bastelt an Symptomen, aber nicht an Ursachen (abgesehen davon gegebenenfalls Role-Models zu erzeugen). Die Quote macht das Geschlecht zu einer relevanten Größe in der Frage, wie erfolgreich eine Kandidatur ist. Eine Männer-Frauen-Quote ignoriert andere unterrepräsentierte Gruppen. Aber was können wir tun? Was wollen wir eigentlich erreichen?

Für mich spielt die Freiheit der Wahl eine große Rolle. Sie sollte so wenig wie möglich eingeschränkt werden. Gleichzeitig sollten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, sich durch seine Wahl für unterrepräsentierte Gruppen einzusetzen, und das beziehe ich explizit nicht nur auf die Gruppe „Frauen“. Ich glaube, dass es Wahlverfahren gibt, die das gewährleisten können, zumindest besser als reines Approval-Voting. An einem solchen Wahlverfahren möchte ich gerne mitarbeiten.

Was kann man neben Wahlverfahren tun? Die gestern auf Twitter in Umlauf gebrachte Selbstverpflichtung ist eine Möglichkeit. Aber auf diese Selbstverpflichtung möchte ich dann doch noch mal eingehen. Eine Selbstverpflichtung ist eine SELBSTverpflichtung. Man kann sie nur freiwillig unterschreiben. Sozialer Druck ist hier meines Erachtens fehl am Platz, und doch war er gestern auf Twitter zu spüren. Ich will meine Wahl nicht nach Geschlecht treffen. Ich kann daher eine solche Selbstverpflichtung nicht unterschreiben. Es sind noch gar nicht alle Listenkandidaten bekannt, wie soll ich mich, ohne diese zu kennen, jetzt schon darauf festlegen, bestimmte Listenplätze nur mit Angehörigen einer bestimmten Gruppe zu besetzen? Für mich ist das nicht möglich. Ich verstehe aber die Intention der Selbstverpflichter. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass wir in Berlin genug fantastische Frauen haben, um sie auf die ersten 4 Plätze zu wählen (soweit kein Widerspruch meinerseits, zumindest wenn die, die es angekündigt haben, tatsächlich kandidieren). Ich hätte überhaupt kein Problem damit die 4 ersten Plätze nur mit Frauen zu besetzen. Ich würde das aber gerne als Ergebnis einer freien, freiwilligen Wahl sehen. Insofern ist eine freiwillige Selbstverpflichtung als Hinweis darauf, dass wir eben wirklich so gute Kandidatinnen haben, dass man problemlos eben diese Selbstverpflichtung eingehen kann, vielleicht sinnvoll. Es ist ein schöner Weg, Solidarität, Unterstützung deutlich zu machen. Sobald aber sozialer Druck, es ebenso zu machen, dazukommt, empfinde ich das als problematisch.

Die gute Sache an der Selbstverpflichtung ist: sie hat die Diskussion noch mal hochgekocht. Ich hoffe wirklich, dass sich daraus etwas Konstruktives entwickeln lässt.

Aber über allen konkreten Maßnahmen die Wahl betreffend hinaus, stellen wir uns die Frage: was kann man tun, um Frauen zu ermutigen, um ihnen Rückhalt zu geben, sie zu motivieren? Wie ist eigentlich der Status Quo, werden Frauen anders befragt als Männer, gibt es Ressentiments, wie kann man beidem begegnen? Diese Fragen wollen wir in der PG Frauenwahlrecht angehen. Das Thema ist zu komplex um es mit einer Quote mundtot zu machen. Beteiligt Euch, liefert Eure Ideen, Eure Vorschläge! Wir haben es in der Hand. Es ist unsere Wahl.

Na dann mal los

So, dann hab ich jetzt also einen eigenen Blog. Bislang war ich ja nur auf freitag.de, da werde ich vielleicht parallel weiterbloggen, aber nicht alles, was ich schreiben will, soll da hin. Und nicht alles, was auf freitag.de soll, muss hier rein. Mal sehen wie das so klappt.